Be 4/6 639
Be 4/6 639 im letzten Betriebszustand mit vorderer Kupplung und neuem BVB-Signet. Die Fahrzeuge der zweiten Lieferserie besassen von Anfang an vorne nur eine Einfachtür.
© Dominik Madörin, CH-Ettingen (Bild-Nr. 5_268)

In den Jahren 1961 bzw. 1962 kamen in Basel mit den Be 4/6 601 und 602 die beiden ersten Gelenk-Motorwagen in Betrieb. Diese beiden dreiteiligen Prototypen aus rein schweizerischer Fertigung erwiesen sich als störungsanfällig und waren oft Gäste in der Hauptwerkstätte Klybeck der Basler Verkehrs-Betriebe (BVB). Dennoch bestand 1964 die Absicht, weitere 18 Fahrzeuge dieses Typs zu beschaffen. Die beratende parlamentarische Spezialkommission empfahl jedoch als Alternative den kostengünstigeren und erprobten Gelenkwagen von DÜWAG 1). Ein solches, für den Strassenbahnbetrieb der deutschen Städte Mannheim und Ludwigshafen  bestimmte Fahrzeug wurde im Sommer 1964 bei der benachbarten Birseckbahn (BEB) im Hinblick auf deren Modernisierung erprobt. Ende Januar 1965 holten die BVB denselben Wagen für drei Monate erneut nach Basel und unternahmen umfangreiche Versuchsfahrten. Der GT6 mit der Betriebsnummer 435 überzeugte auch im Betrieb mit Grossraum-Anhängewagen, so dass die BVB von einer Weiterbeschaffung des SIG-Typs absahen und die Bestellung von 20 Gelenkwagen bei der deutschen Waggonfabrik Uerdingen AG platzierten.

Am 21. September 1967 unternimmt der fabrikneue Be 4/6 618 mit dem B 1447 eine Probefahrt nach Pratteln. Soeben hat die Komposition die alte Wendeschlaufe beim Schänzli passiert.
© Sammlung Dominik Madörin, CH-Ettingen (Bild-Nr. 5.2067)

Gegenüber den bereits in grösserer Zahl in deutschen Städten verkehrenden DÜWAG-Gelenkmotorwagen wiesen die Basler Be 4/6 603–622 einige markante Unterschiede auf: Infolge der engen Kurven waren Front- und Heckbereich stärker eingezogen (diesbezüglich ähnliche Fahrzeuge wurden auch nach Würzburg geliefert). Ausserdem erhielten die Basler Wagen grosse Liniennummern-Brosebandkasten vorne und hinten sowie markante Siemens-Einholmstromabnehmer (Typ Wiener Starkstromwerke). Für den Betrieb mit Anhängewagen kam eine Druckluftbremsanlage mit Führerbremsventil zum Einbau.

Der zweiteilige Wagenkasten bestand aus abgekanteten Stahlprofilen, die mit der Seitenwand- und Dachverblechung zu einem selbsttragenden Aufbau verschweisst wurden. Die beiden Wagenteile waren durch ein torsionssteifes Gelenk Bauart DÜWAG miteinander verbunden. Der Kasten stützte sich auf drei Drehgestelle ab, von denen das mittlere antriebslos war. Die Abstützung erfolgte über Kugeldrehkranz, Federtraverse und Schraubenfedern mit hydraulischen Stossdämpfern auf dem Drehgestellrahmen.

Be 4/6 603 im Ablieferungszustand mit vorderer Doppeltüre sowie ohne Simatic und Frontkupplung.
© BVB (Sammlung Dominik Madörin, CH-Ettingen)

Das Wesentlichste an den Triebdrehgestellen war die Verwendung von nur einem längsliegenden Doppelflanschmotor, der beide Radsätze über Kegelradgetriebe antrieb (Monomotor-Drehgestell). Motor und Getriebe ruhten mittels eingebauten Gummikupplungen voll abgefedert auf den Achsen und bildeten eine starr verbundene Einheit. Zum ruhigen Lauf trugen gummigefederte Radsätze (Typ Bochum) bei. Je ein Radsatz pro Triebdrehgestell sowie beide Radsätze des Laufdrehgestells waren mit einer Scheibenbremse ausgestattet. Die beiden Vollspannungsmotoren wurden in Serie-/Parallelschaltung über Widerstände angefahren. Der Untersitz-Fahrschalter von Siemens wurde direkt mit einer Kurbel betätigt. Die Wagen 606 und 607 wurden als letzte der Serie ausgeliefert und verfügten über eine elektronische Fahr-/Bremssteuerung «Simatic» von Siemens. Mit diesem Paar wurden die ersten Doppeltraktions-Versuchsfahrten unternommen.

Bei der hinteren Plattform befand sich die Billeteurkabine. Vier Doppeltüren waren über die ganze Wagenlänge verteilt. Die Innenbeleuchtung bestand aus Fluoreszenzröhren, die in Serie mit Fahrleitungsspannung betrieben wurden.

Heckansicht des Be 4/6 639 im letzten Betriebszustand: Die Schlussleuchte wurde bei den meisten Wagen im Laufe der Zeit vom Obergurt auf autofahrer-freundlichere Höhe versetzt.
© Dominik Madörin, CH-Ettingen (Bild-Nr. 5_229)

Technische Daten bei Inbetriebsetzung:

Typenbezeichnung: Be 4/6
Anzahl Wagen: 56
Wagennummern: 603 bis 622, 623 bis 658
Im Linienbetrieb: 1967 bis 2016

Mechanischer Teil: DÜWAG
Elektrische Ausrüstung: BBC, S-E
Anschaffungskosten/Wg.: CHF 410’939.– (Nrn. 603–622), CHF 565’620.– (Nrn. 623–658)
Länge über alles: 19’735 mm
Grösste feste Breite: 2’200 mm
Grösste feste Höhe: 3’635 mm
Radsatzabstand im Drehgestell: 1’800 mm
Drehgestellmittenabstände: 2 x 7’000 mm
Radsatzfolge: B'(2)B‘
Dienstgewicht: 23’240 kg (Nrn. 603–622), 23’500 kg (Nrn. 623–658)
Sitz-/Stehplätze: 40+2/110 (Nrn. 603–622), 40+1/113 (Nrn. 623–658)
Höchstgeschwindigkeit: 60 km/h

Anzahl Fahrmotoren: 2
Hersteller/Typ: S-E GBd 199/21c (Nrn. 603–622), BBC 4 ELG 2057 (Nrn. 623–658)
Stundenleistung: 2 x 163 PS bzw. 4 x 120 kW (Nrn. 603–622), 2 x 204 PS bzw. 2 x 150 kW (Nrn. 623–658)
Übersetzungsverhältnis: 1:5,625

Bremsen: elektrische Widerstandsbremse, indirekt wirkende Druckluftbremse, Magnetschienenbremse, hydromechanische Feststellbremse, EPV für Anhängewagen-Druckluftbremse

Nach den guten Erfahrungen mit der ersten DÜWAG-Serie war es naheliegend, auch bei der nächsten Fahrzeugbeschaffung wieder auf dieses bewährte Produkt zurückzugreifen. Im Spätsommer 1970 bewilligte der Grosse Rat den dazu nötigen Kredit zur Beschaffung von 36 weiteren DÜWAG-Gelenkmotorwagen. Diese zweite Serie (Be 4/6 623–658) wurde mit stärkeren Motoren ausgeliefert, die im Gegensatz zur ersten Serie nicht mehr von Siemens, sondern von BBC stammten. Die übrige elektrische Ausrüstung mitsamt elektronischer Simatic-Fahr-/Bremssteuerung wurde von Siemens zugeliefert. Die vordere Doppeltüre wurde als Einfach- statt Doppeltüre ausgeführt.

Ab Ende der Siebzigerjahre verkehrten die DÜWAG-Gelenkwagen auch in Doppeltraktion. Am 11. September 2014 sind die Be 4/6 639 und 644 auf der Linie 2 im Einsatz.
© Dominik Madörin, CH-Ettingen (Bild-Nr. 5_229)

Spätere Änderungen (Auswahl):

  • 1969: Anpassungen für billeteurlosen Betrieb (Be 4/6 603–622).
  • 1973–1975: Ausbau Billeteursitz, Entfernung Billeteur-Aussenspiegel, Umbau der vorderen Doppeltüre zu Einfachtüre (Be4/6 603–622), Einbau Simatic (Be 4/6 603–605, 608–622)
  • 1978: Neue hohe Führerstandtüre
  • 1978–1986: Montage vordere +GF+-Kupplung
  • 1979–1981: Sprechfunk und Anbindung an Betriebsleitsystem
  • 1982: Frequenzweichensteuerung
  • 1984–1987: Automatische Spurkranzschmieranlage (Be 4/6 603, 605, 606, 609, 610, 613, 615, 617, 621, 624, 626, 628, 630, 632, 634, 636, 638, 641–643, 646, 648–650, 652, 653, 656, 658)
  • 1987–1989: Ersatz der Umformergruppe durch statisches Ladegerät
  • 1991–1992: Einrichtungen für Fahrgastzählung mit Trittmattenkontakten (Be 4/6 612, 613, 620, 622, 624, 652)
  • ab 1994: Umbau Zweimotorenantrieb
  • ab 1995: IBIS
  • ab 2001: Entfernung Frontkupplung, Ausbau Simatic, (Wieder-)Einbau Führerbremsventil (Be 4/6 603–622, 625, 631, 640, 657 für Belgrad)
  • ab 2004: Revision, 60-Pol-Steckdosen für Traktionssteuerung und Anhängewagen, Tür-Zwangsverriegelung, neues BVB-Signet, teilweise 24-Volt-Beleuchtung, Fahrgastinformationsanzeigen und Aussenlautsprecher

Die Ablieferung der zwanzig Gelenkwagen der ersten Serie erfolgte 1967. Die Be 4/6 603–622 kamen in ihren ersten Betriebsjahren vorwiegend mit Grossraum-Anhängern auf der wichtigen und stark frequentierten Durchmesserlinie 6 zum Einsatz. Überzählige Fahrzeuge waren beispielsweise als Alleinfahrer auf der Linie 18 anzutreffen.

Die 36 Be 4/6 623–658 folgten 1972 und ersetzten auf den Vorortslinien 11 und 14 älteres Rollmaterial. Gefahren wurde ebenfalls mit Grossraum-Anhängewagen.

Da bei Bauarbeiten im Depot Wiesenplatz stark beschädigt musste der Be 4/6 638 2010 bei der Firma Schmoll in Basel-St. Johann abgebrochen werden.
© Dominik Madörin, CH-Ettingen (Bild-Nr. 5_283)

Im Laufe der Zeit standen die DÜWAG-Gelenkwagen auf fast allen Basler Tramlinien im Einsatz. Einzig auf den Linien übers Bruderholz sowie auf der Linie 3 waren sie nur in Ausnahmefällen anzutreffen. Ab Ende der Siebzigerjahre verkehrten sie auch in Doppeltraktion. Bis 1990 wurde jedoch vermieden, Fahrzeuge der ersten und der zweiten Lieferserie gemischt zu fahren, dies aufgrund ihrer unterschiedlichen Fahrmotoren.

Mit der Ablieferung der Be 6/8 301-328 COMBINO konnten alle Wagen der ersten Lieferserie sowie einige Fahrzeuge der zweiten Serie aus dem Betrieb zurückgezogen werden. Sie wurden nach Belgrad abgegeben oder an die Baselland Transport AG (BLT) verkauft (siehe Be 4/6 123…158).

Bis im Frühjahr 2016 konnten die BVB gänzlich auf die robusten und störungsarmen DÜWAG-Gelenkwagen verzichten. Ausser den Be 4/6 627 und 628 und dem Be 4/6 638, welcher 2010 bei Bauarbeiten im Depot Wiesenplatz stark beschädigt und später abgebrochen wurde, gelangten alle Wagen nach Belgrad, auch jene der BLT (mit Ausnahme des Be 4/6 136 ex 636). Als historisches Fahrzeug blieb der Be 4/6 627 im Bestand.

Der Be 4/6 628 erfuhr bis im Sommer 2023 einen längeren Umbau zum Partywagen «DRÄMMLI-LOUNGE», wobei der Charme des Fahrzeugs möglichst beibehalten und mit modernen Elementen angereichert wurde. Im vorderen Wagenteil des DÜWAG fanden Tische und Bänke Platz. Im hinteren Bereich wurden Stehtische und eine Bar installiert (neu 27 Sitz- und 110 Stehplätze). Eine Garderobe ergänzte die Ausstattung. Äusserlich änderte sich nur wenig: Goldfarbene statt weisse Zierlinie, goldfarbene Fensterumfassungen, Wagennummern auf blauem Grund sowie ein zweites Basiliskenwappen-Paar auf dem B-Wagen mussten als Eyecatcher genügen. Das Fahrzeug verkehrte nur auf Bestellung, wobei Speisen und Getränke mitgebucht werden mussten.

Nach längerem Umbau startete der Be 4/6 628 im Sommer 2023 in sein neues Leben als Partywagen «DRÄMMLI-LOUNGE». Am 19. Dezember 2022 ist er in der Klybeckstrasse als Probefahrt unterwegs.
© Dominik Madörin, CH-Ettingen (Bild-Nr. D8D_4012)
Auskünfte über Extrafahrten unter www.bvb.ch, im BVB-Kundenzentrum am Barfüsserplatz, per Mail an extrafahrten@bvb.ch oder Tel. +41 61 685 14 14.

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1) DÜWAG = Düsseldorfer Waggonfabrik AG, ab 1959 Kurzbezeichnung des Werks Düsseldorf der Waggonfabrik Uerdingen AG

Zuletzt aktualisiert am 14. Dezember 2023 von Dominik Madörin