Mit viel Vorschusslorbeeren wurde von der Firma Siemens Verkehrstechnik (ab 2001 Siemens Transportation Systems [STS]) im Jahre 1996 eine neue Tramgeneration vorgestellt: Der COMBINO. Bis Ende 2003 hatte STS rund 475 Strassenbahnwagen dieses Typs ausgeliefert.
Am Freitag, 12. März 2004 um 13:10 Uhr sah sich STS dazu veranlasst, in weltweit 13 Städten die Stilllegung aller Tramwagen des Typs COMBINO mit einer Laufleistung von mehr als 120’000 Kilometer zu verfügen. In Basel betraf dies sämtliche 28 in den Jahren 2000–02 gelieferten Fahrzeuge Be 6/8 301–328. Deren durchschnittliche Laufleistung betrug zum Zeitpunkt der Stilllegungsverfügung rund 150’000 km.
Die Stilllegungsverfügung traf auch andere Städte: In DE-Freiburg i.Br. oder DE-Potsdam wurden die COMBINO noch vor der Hauptverkehrszeit um 17 Uhr an jenem Freitagabend ausser Dienst gesetzt (die Basler Verkehrs-Betriebe warteten hingegen noch bis nach Betriebsschluss zu). In DE-Erfurt waren von der Stilllegung acht der seinerzeit 31 Fahrzeuge betroffen, in DE-Augsburg 16 von 41, weitere in DE-Nordhausen und JP-Hiroshima. COMBINO weiterer Betriebe wie etwa in NL-Amsterdam oder in Bern wiesen geringere Laufleistungen auf und waren somit von der Verfügung des Herstellers nicht betroffen.
STS begründete die in der Geschichte der Strassenbahn erst- und bisher einmalige Anweisung mit nicht genau kalkulierbaren Risiken bei extremen Betriebssituationen wie zum Beispiel Kollisionen. Schäden am Wagenkasten und Gefährdungen von Wagenführer und Fahrgästen konnten dabei nicht restlos ausgeschlossen werden.
Trübe Aussichten für Siemens und die BVB: Ausser Betrieb genommene COMBINO (Be 6/8 319 und 306) vor dem Depot Dreispitz am 13. März 2004, dem Tag nach dem Stilllegungsbefehl.
© Dominik Madörin, CH-Ettingen (Bild-Nr. 14.226)
Ursache
Dass ein Problem heranreifen konnte, zeigte sich bei einigen Wagen in NL-Amsterdam: Wasser drang von Aussen in den Innenraum! Aber auch DE-Freiburg, Basel und Bern berichteten über diverse Probleme, wobei das COMBINO-typische Knacken in den Wagenkästen noch das geringste Übel war.
Zur Stilllegungsverfügung führte schliesslich die Entdeckung von Rissbildungen in hoch beanspruchten End- bzw. Gelenkportalen der aus Aluminium gefertigten COMBINO-Wagenkästen. Erstmals wurden im April 2002 Risse an einem COMBINO der Freiburger Verkehrs AG (VAG) festgestellt. Nachdem auch an anderen Wagen und in mehreren anderen Betrieben ähnliche Schäden auftraten, zeigte sich bis im Mitte 2003, dass es sich nicht um Einzelfälle, sondern um einen Serienfehler handeln musste.
Eine von STS eingestezte Expertengruppe hatte den Auftrag, die Ursachen zu ermitteln und Gegenmassnahmen einzuleiten. Teil der Untersuchungen war die Zerlegung des Freiburger COMBINO Nr. 272 im Siemens-Werk in CZ-Prag. Das Fahrzeug wurde dabei komplett auseinandergenommen und alle Teile einer gründlichen Untersuchung unterzogen. Dabei zeigten sich auch Risse in den Alu-Grip-Verschraubungen in bis anhin nicht untersuchten Bereichen. Die Steifigkeit des Wagenkastens und die Klemmkraft der Schrauben konnten unter diesen Umständen nicht mit letzter Sicherheit bestätigt werden, was schliesslich zum Grounding führte.
Um bei auf ein Minimum abgesenkten Wagenboden einen Durchgang zwischen den Rädern zu realisieren zu können, verfügten insbesondere 100-Prozent-Niederflurfahrzeuge über keine konventionellen Drehgestelle mehr, sondern besassen mehrheitlich starre Fahrwerke. Die Übertragung von Kräften auf den Wagenkasten war dadurch deutlich grösser als bei Drehgestellwagen. Diesem Umstand wurde bei der Konstruktion der COMBINO zu wenig Beachtung geschenkt und Normen für Drehgestellwagen angewendet, was schliesslich zu einer zu schwachen Auslegung der Wagenkästen führte.
Röntgenaufnahme eines Alu-Grip-Winkels.
© BVB
Hinzu kam, dass beim COMBINO schwere elektrische Komponenten auf dem Dach montiert waren, was die Krafteinwirkung auf den Wagenkasten zusätzlich erhöhte. Ebenso erwies sich sich die bisher hauptsächlich im Busbau angewendete Alu-Grip-Verbindungstechnik für hochbeanspruchte und starken Schwingungen ausgesetzte Bereiche bei Schienenfahrzeugen als nicht geeignet.
Betriebsauswirkungen in Basel
Von der BLT ausgeliehener Tramzug, bestehend aus Be 4/6 141 und B 1316, im Einsatz auf der BVB-Linie 2.
© Dominik Madörin, CH-Ettingen (Bild-Nr. 15.174)
Den Basler Verkehrs-Betrieben (BVB) gelang es, durch Rollmaterial-Umdisponierungen, Reaktivierungen abgestellter Fahrzeuge (z. B. Anhängewagen B 1427), Oldtimer-Einsätzen (Be 4/4 413) sowie durch Anmietung von Rollmaterial der Baselland Transport AG (BLT) (Be 4/6 123, 135, 141 und 143 sowie B 1316, 1317, 1318 und 1319) den Fahrplanbetrieb weitgehend aufrecht zu erhalten. Ferner wurden anstehende Fahrzeugrevisionen zurückgestellt und der Fahrbereitschaft aller zur Verfügung stehenden Wagen höchste Priorität beigemessen. Ab Juni 2004 halfen fünf Berner Achtachs-Gelenkwagen, die Lage weiter zu entspannen.
Entsprechend dem Sanierungsplan von STS wurden in einer ersten Phase, welche Mitte April 2004 anlief, alle 28 Basler COMBINO durch Sicht- und Farbeindringprüfungen sowie durch Röntgen vorsorglich auf Schäden überprüft. Fünf Wagen (Be 6/8 321, 323, 326, 327 und 328) wiesen keine Schäden auf und konnten ab dem 19. April 2004 wieder eingesetzt werden.
Gestützt auf eine Risikoanalyse legte STS fest, welche Fahrzeuge mit geringen Schäden gegebenenfalls nach entsprechenden Reparaturen (z. B. neue Ecksäulen, Reparatur von Verbindungswinkeln) wieder in Betrieb genommen werden konnten, ohne dass für Fahrgäste ein erhöhtes Risiko bestand. So kamen nach und nach weitere Fahrzeuge in den Fahrgasteinsatz zurück, bis im Herbst 2004 die Basler COMBINO-Flotte nahezu vollständig wieder im Einsatz stand.
Im Dezember 2004 traten an anderen Stellen erneut Risse auf. Diese wurden dank den intensiven periodischen Kontrollen entdeckt. In der Folge mussten zwei COMBINO vorübergehend wieder aus dem Verkehr gezogen werden. Es stand nun definitiv fest, dass für den uneingeschränkten Einsatz sämtliche Wagen einer tiefgreifenden Komplettsanierung unterzogen werden mussten.
Zuletzt aktualisiert am 1. April 2024 von Dominik Madörin
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