Zürich: Ce 4/4 357 (Serie 351–370); SWS, MFO/StStZ 1942. Aus der ersten Serie vierachsiger Grossraum-Motorwagen mit Fahrgastfluss in der Schweiz, jedoch noch vor der VST-Vereinheitlichung entwickelt. Später vollständig dem VST-Typ Ib entsprechend.
© Werkaufnahme MFO (Sammlung BVB)

Während in Basel in der zweiten Hälfte der Dreissigerjahre die Erneuerung des Rollmaterials infolge der prekären finanziellen Situation der Basler Strassenbahnen (B.St.B.) praktisch zum Erliegen kam, beschäftigte man sich andernorts intensiv mit der von Zürich ausgehenden Entwicklung moderner Strassenbahnwagen.

Im Bestreben, durch Vereinheitlichung Produktionskosten zu senken sowie Herstellung und Lagerhaltung von Ersatzteilen zu vereinfachen und damit Unterhalt und Reparaturen zu verbilligen, setzte  der Verband Schweizerischer Transportanstalten (VST) eine besondere Studienkommission zur schweizweiten Standardisierung des Strassenbahnrollmaterials ein. Dabei orientierte man sich an den seit den Dreissigerjahren von den Zürcher Strassenbahnen in Zusammenarbeit mit der Industrie entwickelten Grossraumwagen.

Eine erste Umfrage ergab, dass von den in Frage kommenden Strassenbahnbetrieben nur Basel, Bern, Genf und Luzern prinzipiell an einem Einheitswagen interessiert waren. Neuenburg machte Bedarf an Zweirichtungswagen geltend. Lausanne, Biel, Winterthur, Schaffhausen und St. Gallen nahmen eine abwartende Position ein, da man in diesen Städten eine Betriebsumstellung auf Trolleybus in Erwägung zog.

Neuenburg: Be 4/4 83 (Serie 81–83); VST-Typ II; SIG, SAAS 1947. Einzige je gebaute Vertreter des als Zweirichtungswagen ausgelegten Typs II.
© E. Sommer (Sammlung Tramclub Basel)

Die Auswertung der Umfrage ergab auch, dass folgende Wagentypen erforderlich waren:

  • Typ Ia: Leichter Grossraum-Motorwagen für eine Fahrtrichtung, vorwiegend als Alleinfahrer bestimmt. Begrenzte Führung von einem Anhängewagen Typ A oder von zwei Anhängewagen Typ B möglich.
  • Typ Ib: Schwerer Grossraum-Motorwagen für eine Fahrtrichtung, vorwiegend für Anhängewagenbetrieb bestimmt. Begrenzte Führung von zwei Anhängewagen Typ A möglich.
  • Typ II: Leichter Motorwagen mit mittlerem Fassungsvermögen für beide Fahrtrichtungen. Begrenzte Führung von einem Anhängewagen Typ B möglich.
  • Typ A: Leichter Grossraum-Anhängewagen für eine Fahrtrichtung.
  • Typ B: Leichter Grossraum-Anhängewagen mit mittlerem Fassungsvermögen, für beide Fahrtrichtungen.

Nach dieser groben Festlegung der Wagentypen wurde ein Fragebogen ausgearbeitet, welcher alle für den Bau moderner Wagen nötigen Angaben enthielt und von den Strassenbahnverwaltungen nach deren Ansichten und Wünschen ausgefüllt werden sollte. Aufgrund der eingereichten Angaben und verschiedener Besprechungen konnte eine weitgehende Einigung über die Ausführung der Wagen gefunden werden.

Im Dezember 1944 schloss das VST-Gremium seine Vorarbeiten ab und legte die bereinigten Vorschläge für die Normalisierung von Motor- und Anhängewagen vor. Dabei sah die Kommission vom Erlassen von Vorgaben für die Drehgestellbauart bewusst ab. Die Industrie selbst sollte geeignete Vorschläge einreichen, wobei die Drehgestelle verschiedener Hersteller und Bauarten untereinander austauschbar zu sein hatten.

Luzern: Ce 4/4 102 (Serie 101–106); VST-Typ Ia; SWP, BBC 1947. Einzige Wagen des Typs Ia in vollständig geschweisster Leichtstahlbauweise. Die Luzerner Ce 4/4 107–110 verfügten über einen von Hess erbauten Wagenkasten mit Stahlgerippe und aufgeklemmten Leichtmetallblechen analog den Zürcher Ce 4/4 401 ff.
© Werkaufnahme SWP (Sammlung Andreas Spaar, CH-Arlesheim)

Anlässlich weiterer Verhandlungen mit der Industrie und Trambetrieben zeigte sich, dass für bestimmte Betriebsverhältnisse eine zusätzliche Motorwagenbauart geschaffen werden musste. Als mittelschwerer Typ Iab sollte dieser gewichts- und leistungsmässig die Lücke zwischen den Typen Ia und Ib füllen und auf ebenen Strecken für Anhängewagenbetrieb taugen. Durch die Verwendung des günstig herstellbaren Stahlwagenkastens des Typs Ib sowie der in einigen Punkten angepassten Drehgestelle des Leichtmotorwagens Ia sollten sich gegenüber dem Typ Ib niedrigere Anschaffungskosten erzielen lassen.

Bern: Ce 4/4 101 (Serie 101–115); VST-Typ Iab; SWS, BBC/MFO 1947. Der nachträglich entwickelte mittelschwere Typ Iab sollte gewichts- und leistungsmässig die Lücke zwischen den Typen Ia und Ib füllen
© Werkaufnahme BBC (Sammlung Andreas Spaar, CH-Arlesheim)

Die Begriffe «schwer» und «mittelschwer» führten in der Folge immer wieder zu Unklarheiten. Zürich bezeichnete seine Wagen des Typs Ib konsequent als «mittelschwer», um Verwechslungen mit den von der Bauart her völlig abweichenden Ce 4/4 301–350 (später 1301–1350, «Elefant») zu vermeiden.

Die schliesslich für sechs Schweizer Städte gebauten Vierachser besassen zwar alle ein ähnliches Aussehen, wiesen aber in Konstruktion und technischer Ausstattung derart viele Unterschiede auf, dass sie alles andere als standardisierte Einheitswagen waren. Insgesamt wurden 261 Motor- und 216 Anhängewagen gebaut, welche auf die Standardwagen-Entwürfe zurückgingen (vgl. Kasten).

Zuletzt aktualisiert am 27. September 2023 von Dominik Madörin