Lange Jahre war es bei der Automobilgenossenschaft Reigoldswil (AGR) üblich, Reisebusse zu beschaffen, welche auch für den Kursbetrieb verwendet werden konnten. Aus technischen Gründen und aufgrund der Konzeption moderner Reisebusse musste diese Vorgehensweise aufgegeben werden. Vorwiegend für den Einsatz auf der Stammlinie 91 (Waldenburg–) Reigoldswil–Lauwil–Bretzwil stiess daher 1984 dieser Juniorbus Typ III des Sissacher Karosseriewerks E. Frech-Hoch AG (FHS) zur Flotte.
© Dominik Madörin, CH-Ettingen (Bild-Nr. 1721.2)

Die Automobilgenossenschaft Reigoldswil (AGR) war am 3. Dezember 1945 gegründet worden, um den Bewohnern des hinteren Frenkentals, von denen viele im industriereichen Waldenburgertal ihren Verdienst fanden, eine Transportmöglichkeit zu bieten. Um die neuen Fahrleistungen in Anspruch nehmen zu können, war ein Beitritt als Genossenschafter zwingend. Ein paar Unternehmen, eine Anzahl direkt interessierter Gemeinden und der Kanton Basel-Landschaft traten der Organisation zusätzlich als Genossenschafter bei. Zusammengepfercht in einem behelfsmässig umfunktionierten Occasion-Lastwagen mit Blachenverdeck des US-amerikanischen Herstellers International konnten sich die Arbeiter nun von einem Tal ins andere schaukeln lassen. Zuvor waren sie gezwungen, ihre Fabriken bei jedem Wetter zu Fuss oder mit dem Fahrrad zu erreichen – besonders in der kalten Jahreszeit ein zweifelhaftes Vergnügen, bei welchem so manches hart verdiente Lohnsäckli in einer der Beizen unterwegs liegen blieb…

Im ersten vollen Betriebsjahr 1946 betrug der Umsatz der De-facto-Selbsthilfegruppe 25’479 Franken. Im Sommer des darauffolgenden Jahres konnte ein bei der Firma Adolph Saurer AG bestellter Autobus in Arbon abgeholt und der International-Lastwagen verkauft werden. Das neue Fahrzeug im Wert von über 90’000 Franken erlaubte es auch, Kurswagen nach Lauwil, Bretzwil, Lampenberg, Hölstein und Bennwil anzubieten. Die Länge der konzessionierten Strecken wuchs so auf 26 Kilometer an und die AGR diente nicht mehr bloss den Werktätigen, sondern der ganzen Bevölkerung. Allerdings gelang es dem Unternehmen nicht, die Kursstrecken kostendeckend zu betreiben. Zwecks Generierung zusätzlicher Einnahmen versuchte man sich daher im touristischen Busreisegeschäft, so dass bald stahlgraue Reisecars aus Reigoldswil in ganz Europa anzutreffen waren.

Dem Reisegeschäft folgten weitere mehr oder minder krisenfeste Nebenzweige. Die AGR stieg in den Autohandel ein und betrieb eine Reparatur- und Service-Werkstätte als VW-Vertretung. Schliesslich besorgte man für den Kanton Klärschlamm- und Kadaver-Transporte und übernahm für zahlreiche Gemeinden die regelmässige Kehrichtabfuhr. Aus der einfachen Organisation von 1945 war ein leistungsfähiges Unternehmen der Transportbranche geworden. 25 Jahre nach der Gründung standen bei der AGR zehn Autobusse, ein Kehrichtwagen, ein Klärschlammwagen und vier VW-Busse im Einsatz. Der Umsatz war auf 1,6 Millionen Franken angestiegen.

Es versteht sich von selbst, dass die Räumlichkeiten am alten Standort im Dorfzentrum Reigoldswils den Expansionsgelüsten bald nicht mehr zu genügen vermochten. Die AGR liess deshalb 1971 an der Strasse nach Ziefen für zirka zwei Millionen Franken einen zweckmässigen neuen Komplex erstellen, gewissermassen als eigenes Geschenk zum 25. Geburtstag! Die neuen Gebäulichkeiten umfassten Verwaltungsbüros, Reparaturwerkstätten und Tankstelle mit Waschanlage.

Zur gleichen Zeit beabsichtigte der Kanton Basel-Landschaft, sämtliche privaten und halbstaatlichen Transportunternehmen im Kanton in einer neuen Gesellschaft zusammenzuführen. Während dies bei den Basler Vorortsbahnen rasch gelang, blieben die privaten Busbetriebe im mittleren und oberen Baselbiet noch lange Zeit selbstständig. Lediglich die Konzessionen von insgesamt 16 Linien wurden auf die 1974 neu gegründete Baselland Transport AG (BLT) übertragen. So fand sich die AGR ab 15. Januar 1976 als reine Transportbeauftragte für «ihre» drei Linien (Waldenburg–) Reigoldswil–Lauwil–Bretzwil, Hölstein–Bennwil und Waldenburg–Hölstein–Lampenberg wieder. Diesen wurden im Hinblick auf die Einrichtung eines Tarifverbunds gleichzeitig die Nummern 91, 92 und 93 zugewiesen.

In der ersten Hälfte der Neunzigerjahre geriet die Automobilgenossenschaft wegen der Produktion von Dienstleistungen, die nicht immer und überall der Nachfrage entsprachen, in finanzielle Schieflage. Insbesondere die Gründung eines eigenen Reisebüros sowie nicht refinanzierbare Investitionen in Luxus-Reisebusse trieben die Genossenschaft schliesslich in den Ruin und führten 1996 – ein Jahr nach dem fünfzigsten Geburtstag – zur Liquidation. Der BLT als Konzessionsinhaberin gelang es, vom 1. August 1996 an die Autogesellschaft Sissach–Eptingen AG (AGSE) für den Betrieb der Linien 91, 92 und 93 zu verpflichten. Die AGSE war auch in der Lage, Personal sowie Fahrzeuge der AGR zu übernehmen, so dass es zu keinen sozialen Problemfällen kam. Die übrigen Geschäftszweige wurden anderweitig veräussert.

Schwerer wog, dass die AGR-Statuten aus der Gründungszeit eine unbeschränkte persönliche Haftung der Genossenschafter festschrieben. Jeder einzelne von ihnen wäre also zur anteilsmässigen Übernahme der Schulden der AGR verpflichtet worden. Nach langen Verhandlungen gelang es schliesslich, Härtefälle zu vermeiden, indem der Kanton – selbst ja auch Genossenschafter – in die Bresche sprang.

Zuletzt aktualisiert am 3. Februar 2025 von Dominik Madörin