Der fabrikneue, für Mannheim bestimmte DÜWAG (später Nr. 435) beim Bahnhof Dornach-Arlesheim. Obwohl die Wendeschlaufe auf dem Dornacher Amthausplatz für den Gelenkwagen deutlich zu eng war, wurde die Endhaltestelle nach einer längeren Rückwärtsfahrt trotzdem erreicht.
© Sammlung Dominik Madörin, CH-Ettingen (Bild-Nr. -)

Im Sommer 1964 erprobte die Birseckbahn AG (BEB) einen sechsachsigen Gelenkwagen aus dem Düsseldorfer Werk der Waggonfabrik Uerdingen AG (DÜWAG). Dem Vernehmen nach war insbesondere der BEB-Direktor Felber sehr von diesem Fahrzeugtyp angetan, seit er ihn im Rahmen der 34. UITP-Tagung 1961 1) in Kopenhagen kennengelernt hatte.

Der fabrikneue, für die Verkehrsbetriebe der deutschen Städte Mannheim und Ludwigshafen bestimmte Sechsachser (später Nr. 435) traf am 2. Juli 1964 in Basel ein und wurde noch gleichentags bei der BVB-Bauwerkstätte Dreispitz vom Bahnwagen abgeladen. Im Schlepp des Xe 2/3 111 erreichte er das Depot Arlesheim, wo noch einige Anpassungs- und Komplettierungsarbeiten vorgenommen wurden. Erste Fahrten aus eigener Kraft fanden am frühen Morgen des 3. Juli 1964 statt. Gesteuert wurde das für Birseckbahn-Verhältnisse futuristische Fahrzeug von einem ebenfalls aus Mannheim entliehenen Wagenführer, der während der Einsatzzeit beim stellvertretenden BEB-Depotchef Quartier bekam…

Die 10,65-m-Schlaufe auf dem Aeschenplatz meisterte der Gast aus Deutschland ohne Probleme, wobei DÜWAG zuvor in den Drehgestellbereichen Ausschnitte in die Seitenwandverblechungen geschnitten und Anpassungen am Gelenk (Vergrösserung des Abstandes zwischen A- und B-Wagen) vorgenommen hatte.

Die Wendeschlaufe auf dem Dornacher Amthausplatz war aber trotz allen Anpassungen zu eng. So musste die Birseckbahn auf der «grünen Wiese», unmittelbar nach der Bahnüberführung zwischen Stollenrain und Bahnhof Dornach bzw. im Bereich der heutigen Liegenschaft Bahnhofstrasse 1, eine provisorische Schlaufe anlegen. Durch eine längere Rückwärtsfahrt erreichte der Gelenkwagen die Endhaltestelle in Dornachbrugg trotzdem.

Die Fahrzeughöchstgeschwindigkeit des DÜWAG liess sich nur auf dem den Basler Verkehrs-Betrieben (BVB) gehörenden Abschnitt Münchensteinerstrasse–Wolfgottesacker ausfahren – zu schlecht war der Zustand der BEB-eigenen Anlagen. Der Anhängewagenbetrieb wurde ebenfalls erprobt, wofür der als Alleinfahrer konzipierte DÜWAG vorübergehend eine Kupplung am Heck bekam. Da keine Druckluftausrüstung vorhanden war, fanden die Fahrten mit dem B3 22 ohne Fahrgäste statt.

Im Anschluss an das Testprogramm stand der Gelenkwagen bis Ende August 1964 im fahrplanmässigen Einsatz und erfreute sich sowohl beim Personal als auch beim Publikum grosser Beliebtheit – am liebsten hätte man ihn gleich behalten! Zwar belasteten die Kosten für den Versuchseinsatz (total Fr. 44ʼ268.75) die Rechnung der Bahn schwer. Der Aufwand lohnte sich aber nicht nur für die BEB selbst, denn die Erkenntnisse aus den Versuchsfahrten erwiesen sich für die schweizerische Rollmaterial-Industrie als richtungsweisend für den Fahrzeugbau.

Fotohalt im Einschnitt Kreuzmatt bei der Wegbrücke Griebengasse: In der Türe 1 steht der bekannte und sichtlich stolze BEB-Kontrolleur Schindler.
© Michel Pellaton, CH-Basel

Erprobung in Basel

Bei den BVB stiess die Beschaffung von neuem Rollmaterial wiederholt auf politischen Widerstand, seit die Umstellung verschiedener Strassenbahnlinien auf Busbetrieb gefordert worden war. 1964 bestand die Absicht, unter anderem 18 weitere dreiteilige Gelenk-Motorwagen der Bauart SIG sowie zwei Gelenkwagen-Prototypen von Schindler Waggon AG (SWP) zu beschaffen. Politischer Druck führte dazu, kostengünstigere Produkte aus dem Ausland zu evaluieren, speziell den vierachsigen Gelenkwagen GT4 der Maschinenfabrik Esslingen AG sowie den sechsachsigen DÜWAG.

Der GT4 schied früh aus, da er mit nur zwei angetriebenen Achsen und einer Antriebsleistung von lediglich 2 x 100 kW nicht wie gefordert in der Lage gewesen wäre, eine Steigung von 55 ‰ mit einem Grossraum-Anhängewagen zu befahren. Dies traute man auch dem DÜWAG mit seinen Monomotor-Triebdrehgestellen nicht ohne weiteres zu, so dass die BVB den Mannheimer GT6 Nr. 435 2) für Versuchsfahrten erneut nach Basel holten.

Am 23. Januar 1965 wurde das Fahrzeug wiederum bei der BVB-Bauwerkstätte Dreispitz vom Bahnwagen abgeladen. Anschliessend nahm die Hauptwerkstätte Klybeck folgende Anpassungen vor:

  • Kupplung hinten
  • Kupplungskabel für Anhängerbetrieb (600-Volt-Versorgung und Schienenbremse)
  • Messapparate für Motorenströme
  • Traktionsstrom-Ampèremeter im Führerstand
  • Registriereinrichtung für Feldschwächestufen
  • Impulsgeber an den Triebrädern
  • Gegensprechanlage
  • Batterie und Umformergruppe für Messeinrichtungen

Die bis Anfang März 1965 dauernden Versuchsfahrten teilten sich in zwei Phasen auf: Zunächst sollte der Einfluss des Schienenzustands auf die Zugkraft untersucht werden. Anschliessend fanden Vergleiche zwischen dem DÜWAG mit seinen Monomotor-Drehgestellen und Fahrzeugen mit Einzelachsantrieb-Drehgestellen mit und ohne Achslastausgleich statt, wofür der SIG-Be 4/6 601 sowie der Be 4/4 414 herangezogen wurden. Die Versuche fanden jeweils nachts nach Betriebsschluss in der (weitgehend horizontalen) Gärtnerstrasse sowie am Auberg statt. Den beiden Gelenk-Motorwagen wurde jeweils der Anhängewagen B 1412 angehängt, dem Grossraum-Motorwagen zusätzlich zum B 1412 noch der B2 1174, so dass das Verhältnis Triebachsbelastung zu Gesamtzuggewicht den Gelenkwagen-Zügen entsprach. Alle Fahrzeuge waren beladen; der DÜWAG führte 10,5 Tonnen Guss-Strahlsand mit! Je nach Versuch wurden die Adhäsionsverhältnisse durch Benetzen der Schienen mit einer Salzwasser-Lösung beeinflusst.

Schlussendlich konnte sich auch das Basler Publikum einen Eindruck vom DÜWAG verschaffen: Bis zum Rücktransport nach Mannheim liessen die BVB den Wagen noch einige Tage auf dem Linksring der damaligen Ringlinie 2 zirkulieren (fahrplanmässige Einsätze auf anderen Linien wären aufgrund von Begegnungsverboten nicht möglich gewesen). Die Resultate sind bekannt: Der Gelenkwagen aus deutscher Produktion meisterte alle Aufgaben problemlos, was zur Beschaffung von insgesamt 56 gleichartigen Fahrzeugen führte (Be 4/6 603–622 bzw. 623–658).

Der aus Mannheim ausgeliehene DÜWAG GT6 Nr. 435 überquert im Frühjahr 1965 als Linie 2 die Johanniterbrücke.
© BVB (Sammlung Dominik Madörin, CH-Ettingen)

Nebenbei: Der GT6 Nr. 435 beendete seinen Dienst in Mannheim im Jahr 1994 und kam anschliessend nach HR-Zagreb. Mit der neuen Betriebsnummer 908 verdiente er sich in der Hauptstadt Kroatiens sein Gnadenbrot und wurde schliesslich 2006 abgebrochen.


1) UITP = Union Internationale des Transports Publics (dt.: Internationaler Verband für öffentliches Verkehrswesen)
2) Die Stadt Ludwigshafen kündigte 1963 den Betriebsvertrag mit Mannheim, so dass der gemeinsame Strassenbahnbetrieb der beiden Städte am 31. Dezember 1964 endete. Das Rollmaterial wurde aufgeteilt; der GT6 Nr. 435 kam zu den Verkehrsbetrieben der Stadtwerke Mannheim.

Technische Daten:

Typenbezeichnung: GT6
Anzahl Wagen: 1
Wagennummer: 435
Im Linienbetrieb: 1964, 1965

Mechanischer Teil: DÜWAG
Elektrische Ausrüstung: BBC

Länge über Kasten: ca. 18’990 mm
Grösste feste Breite: 2’200 mm
Höhe über Dach: 3’185 mm
Radsatzabstand im Drehgestell: 1’800 mm
Drehgestellmittenabstand: 2 x 6’000 mm
Radsatzfolge: B'(2)B‘
Dienstgewicht: 19’300 kg
Sitz-/Stehplätze: 41+2/115
Höchstgeschwindigkeit: 60 km/h

Anzahl Fahrmotoren: 2
Hersteller/Typ: BBC
Stundenleistung: 2 x 163 PS bzw. 2 x 120 kW
Übersetzungsverhältnis: k. A.

Bremsen: elektrische Widerstandsbremse, Solenoidbremse, Magnetschienenbremse, Handbremse

Fahrzeugporträt

GT6 Nr. 435 DÜWAG

DÜWAG / Stadtwerke Mannheim – Verkehrsbetriebe (Nr. 435)

Messfahrten und Fahrgasteinsätze im Sommer 1964 (BEB) und Winter 1965 (BVB)

Zuletzt aktualisiert am 7. Februar 2023 von Dominik Madörin