Ein Zürcher «Pedaler» auf dem Basler Barfüsserplatz! Die Abschirmhaube über der Frontlampe ist eine Folge der kriegsbedingt angeordneten Verdunkelungsmassnahmen. Unter dem Führerstand, verschalt durch einen Blechkasten, befinden sich die Anfahr-/Bremswiderstände, was den Einbau einer normalen +GF+-Kupplung verunmöglichte.
© Werkaufnahme BBC (Sammlung Dominik Madörin, CH-Ettingen)

Bei der Entwicklung moderner Grossraum-Strassenbahnwagen in der Schweiz konnten die Städtischen Strassenbahnen Zürich (StStZ) – nicht zuletzt aufgrund ihrer soliden finanziellen Situation – schon ab 1938 eine Vorreiterrolle übernehmen. In enger Zusammenarbeit mit der Industrie baute man mehrere Versuchswagen moderner Konzeption. Durch deren grosses Fassungsvermögen und Fahrgastflusssystem mit festem Billeteursitz (Peter-Witt-System) liessen die nur für eine Fahrtrichtung ausgeführten Motorwagen einen äusserst wirtschaftlichen Betrieb erwarten.

1939 bzw. 1940 konnten zwei Dreiachser (Ce 2/3 31 und 32, ab 1946 Ce 2/3 1031 und 1032) in Dienst gestellt werden. Der erste vierachsige Grossraumwagen (Ce 4/4 351, ab 1947 Ce 4/4 1351) folgte 1940. Mit einer Länge von 13ʼ950 mm und einem Leergewicht von 18ʼ000 kg entsprach er dem späteren schweren VST-Typ Ib.

1941 erschien mit dem Ce 4/4 401 (ab 1947 Ce 4/4 1501) der erste Leichtmotorwagen mit Pedalsteuerung nach System Brown Boveri und Drehgestellen der Bauart Simplex 1 («Pedaler»). Bei dem von der Schweizerischen Wagons- und Aufzügefabrik AG in Schlieren (SWS) gelieferten Wagenkasten handelte es sich um eine auf einem Stahlblech-Rahmen aufgebaute Leichtmetallkonstruktion, so dass der Wagen bei einer Länge von 13ʼ730 mm ein Leergewicht von lediglich 13ʼ400 kg aufwies (später VST-Typ Ia).

Erprobung in Basel

Mitten im Zweiten Weltkrieg bot sich für die Basler Strassenbahnen (B.St.B.) die Möglichkeit, einen der modernen Zürcher Grossraumwagen auf dem eigenen Netz einer Erprobung zu unterziehen. Dazu stellten die StStZ den Ce 4/4 403 während acht Wochen leihweise zur Verfügung. Als Mietzins hatten die B.St.B. eine tägliche Entschädigung von Fr. 50.00 zu bezahlen, berechnet auf den Zeitraum, wo der Wagen der Vermieterin nicht zur Verfügung stand.

Ankunft des Zürcher Ce 4/4 403 in der Kohlenstrasse auf dem Gleis der Hafenbahn St. Johann. Der ebenfalls in den Kriegsjahren 1941/42 auf Kosten der Armee beschaffte SBB-Rollschemel der Serie O 74151–74160 steht im Bereich der heutigen Wendeschlaufe St-Louis Grenze.
© Staatsarchiv Basel-Stadt

Der in Schlieren auf einen SBB-Spezialwagen verladene Ce 4/4 403 traf am 13. August 1943, einem Freitag, in Basel St. Johann ein. 1) Durch die B.St.B.-Bauabteilung wurde ein provisorisches Verbindungsgleis von der Kohlenstrasse in die Elsässerstrasse verlegt, so dass der Tramwagen über Rampen vom Bahnwagen auf das Basler Meterspurnetz rollen konnte. 2) Unmittelbar nach dem Ablad wurde der Gast aus Zürich in die Werkstätte Klybeck geschleppt, wo noch der Stromabnehmer montiert werden musste.

Bereits am darauffolgenden Samstag-Morgen fanden erste Probefahrten statt. Die für Basler Verhältnisse abnormale Dimension des schon im Vorbericht der National-Zeitung vom 10. August 1943 als «blaues Wunder» bezeichneten Vierachsers aus der Limmatstadt liess ein ungehindertes Fahren auf dem Basler Netz keineswegs zu. Insbesondere war der Gleismittenabstand in einigen doppelspurigen Kurven zu gering, um beim Begegnen mit anderen Tramkursen zwischen den Wagenkästen die vorgeschriebene Minimaldistanz von 300 mm einhalten zu können. Daher mussten zahlreiche Begegnungsverbote erlassen werden. Ebenso konnten Wendeschlaufen und Dienstgleisverbindungen mit einem Radius von weniger als 13 m nicht befahren werden.

Für den Samstag-Nachmittag hatte die Strassenbahndirektion die erste Fahrt mit Fahrgästen vorgesehen. Dabei sollte der Presse und den Behörden, unter ihnen Regierungsrat Dr. Edwin Zweifel als Stellvertreter des Vorstehers des Strassenbahnwesens, Mitglieder der grossrätlichen Spezialkommission, Verwaltungsräte der Basellandschaftlichen Überlandbahn und höhere Funktionäre der B.St.B., Gelegenheit gegeben werden, sich von den Eigenschaften des eleganten Wagens persönlich zu überzeugen. Nach der Fahrt zeigten sich die Gäste tief beeindruckt von den ausgezeichneten Laufeigenschaften, der feinstufigen Fahr-/Bremssteuerung und der in Basel bisher unbekannten Höchstgeschwindigkeit von 60 Stundenkilometern.

Vom 16. August bis am 18. Oktober 1943 fand die Erprobung des «Pedalers» im fahrplanmässigen Betrieb statt. Dabei durfte man dem grundsätzlich als Alleinfahrer konzipierten Leichtmotorwagen aufgrund der Bestimmungen im Mietvertrag keinen Anhänger mitgeben. Auf Einsätze im Spätdienst ab 20 Uhr wurde verzichtet. Das für die Bedienung vorgesehene Personal erhielt zuvor in Zürich eine genaue Einweisung.

Zunächst verkehrte der Wagen auf dem (inneren) Linksring der Ringlinie 2, anschliessend auf der Linie 1. Da jedoch die nördliche Schlaufe auf dem Centralbahnplatz infolge ihres zu geringen Radius nicht benutzt werden konnte, musste zum Wenden an die Schifflände ausgewichen werden. Am anderen Endpunkt der Linie 1, der Haltestelle Horburgstrasse (heute Dreirosenbrücke) wurde mittels einer Dreiecksfahrt gewendet. 3) Es folgten Einsätze auf den Linien 3 und 4, wobei an der Endhaltestelle Thiersteinerallee der Linie 4 (heute Heiliggeistkirche) das Wenden ebenfalls nur mit einer Spitzkehre möglich war.

Fehlende Wendemöglichkeiten liessen übers Bruderholz nur Einsätze als Zusatzkurs zu. Auf der Linie 6 konnte nur auf dem Abschnitt Mustermesse–Morgartenring gefahren werden, da die Wendeschlaufen in Allschwil und Riehen zu enge Radien aufwiesen.

Vom 1. Oktober 1943 an musste sich der Wagen auf der Überlandlinie 14 Schifflände–Pratteln beweisen. Entsprechende Aufzeichnungen belegen, dass die Fahrzeughöchstgeschwindigkeit von 60 km/h abschnittsweise tatsächlich ausgefahren wurde.

Beim Einsatz auf der Linie 14 im Oktober 1943 erreicht das «blaue Wunder» den Marktplatz in Richtung Schifflände.
© Werkaufnahme BBC (Sammlung Dominik Madörin, CH-Ettingen)

Der Ce 4/4 403 befriedigte sowohl in rein technischer wie auch in betrieblicher Hinsicht vollauf. Auf den meisten Linien konnten die auf zweichachsiges Rollmaterial ausgelegten Fahrzeiten zum Teil beträchtlich unterboten werden (z. B. auf der Linie 3 um bis zu sieben Minuten!). Aufzeichnungen mit einem Erschütterungsmessgerät ergaben, dass der Wagen selbst bei der Maximalgeschwindigkeit von 60 Stundenkilometern einen ruhigen Lauf aufwies. Auch beim Publikum schien der Fremdling aus der Limmatstadt Anklang gefunden zu haben, wenngleich auch das bisher unbekannte Prinzip des Fahrgastflusses auf eher ablehnende Haltung stiess und viel Kritik hervorrief. Oft konnte man aber Jung oder Alt beobachten, die grüne Tramwagen vorbeifahren liessen und geduldig das Eintreffen des blau-weissen Zürchers abwarteten.

Zwar hätten die B.St.B. den Wagen am liebsten behalten. Nach einer gründlichen Reinigung erfolgte jedoch am 21. Oktober 1943 an der Kohlenstrasse der Verlad auf einen SBB-Rollschemel und anschliessend die Rückführung nach Zürich.


1) Einzelne Quellen nennen den Donnerstag, 12. August 1943.
2) Der Anschluss des Basler Meterspur-Tramnetzes an das SBB-Gleis hinter dem Depot Dreispitz wurde erst im Zusammenhang mit dem Bau der Oberbauwerkstätte anno 1949 erstellt.
3) Der Abschnitt Horburgstrasse–Mustermesse der Linie 1 wurde kriegsbedingt zwischen 1940 und 1946 nicht bedient.

Technische Daten bei Übernahme durch B.St.B.:

Typenbezeichnung: Ce 4/4
Anzahl Wagen: 1
Wagennummer: 403
Im Linienbetrieb: 1943

Mechanischer Teil: SWS
Elektrische Ausrüstung: BBC

Länge über alles: 13’730 mm
Grösste feste Breite: 2’200 mm
Grösste feste Höhe: 3’900 mm
Radsatzabstand im Drehgestell: 1’625 mm
Drehgestellmittenabstand: 6’400 mm
Radsatzfolge: Bo’Bo‘
Dienstgewicht: 13’400 kg
Sitz-/Stehplätze: 27+2/66
Höchstgeschwindigkeit: 60 km/h

Anzahl Fahrmotoren: 4
Hersteller/Typ: BBC GLM 0240
Stundenleistung: 4 x 50 PS bzw. 4 x 37 kW
Übersetzungsverhältnis: k. A.

Bremsen: elektrische Widerstandsbremse, Zweikammer-Druckluftbremse, Magnetschienenbremse, Handbremse

Fahrzeugporträt

Ce 4/4 403 «Pedaler»

Städtische Strassenbahn Zürich (Ce 4/4 403)

Messfahrten und Fahrgasteinsätze im Herbst 1943

Zuletzt aktualisiert am 23. Januar 2023 von Dominik Madörin