Am 21. Mai 2001 fuhr noch der alte Tatra T4SU 808 auf abgewirtschafteten Gleisen vor dem Lwiwer Hauptbahnhof durch. Von 2025 an sollten an dieser Stelle Gelenk-Motorwagen ähnlicher Farbe anzutreffen sein, welche zuvor bei der Baselland Transport AG (BLT) Dienst taten.
© Dominik Madörin, CH-Ettingen (Bild-Nr. UA-2001.23)
Die heute zur Ukraine gehörende Stadt Lwiw (dt. Lemberg) blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Als Hauptstadt Ostgaliziens zählte Lemberg fast 150 Jahre zur k.u.k. Monarchie und war 1914 nach Wien, Budapest und Prag immerhin die viertgrösste Metropole des Österreichisch-Ungarischen Reichs! Mit dem Zerfall der Donaumonarchie nach Ende des Ersten Weltkriegs erhielt die Stadt etliche neue Namen und wechselte verschiedentlich die Staatszugehörigkeit: Der Westukrainischen Volksrepublik von 1919 folgte nach zwei Jahren kriegerischer Auseinandersetzungen die erste polnische Republik und von 1939 bis 1944 die Besetzung durch Hitler-Deutschland. 1944 kam die Stadt unter sowjetische Herrschaft, welche bis 1991 andauerte und durch den unabhängigen Staat Ukraine abgelöst wurde. 2015 lebten etwas über 700’000 Personen in Lwiw.
Am 1. Mai 1880 nahm eine normalspurige Pferdestrassenbahn ihren Betrieb auf. Im Hinblick auf eine Galizische Landesausstellung dachte man ab etwa 1890 über die Einführung der elektrischen Traktion nach. Das elektrische Tram sollte als Demonstrationsmittel der Entwicklung Galiziens unter der Herrschaft Österreich-Ungarns dienen. Im Sommer 1893 schloss die Stadtverwaltung mit Siemens & Halske (S&H) einen Vertrag über den Bau eines Gleichstromkraftwerks, eines Depots, Gleis- und Fahrleitungsanlagen sowie über die Lieferung entsprechender Wagen ab. Vom 31. Mai 1894 an betrieb S&H zunächst auf eigene Kosten und parallel zum Rösslitram mehrere Linien auf dem neuen elektrischen Meterspur-Netz. 1896 ging der Betrieb an die Stadt über, doch konnte ein Weiterausbau aufgrund des Widerstands des Pferdebahn-Betreibers nicht erfolgen. Bei diesem handelte es sich übrigens um die Società Triestina Tramway, also um die Betreibergesellschaft der Strassenbahn der Stadt Triest. Triest gehörte seinerzeit ebenfalls zu Österreich-Ungarn bzw. der geographisch weit ausgedehnten Habsburgermonarchie!
1906 beschloss der Lemberger Stadtrat sowohl den Kauf der Pferdestrassenbahn als auch den Ausbau des elektrischen Meterspur-Netzes. Die erste neue Linie konnte bereits im Januar 1907 in Betrieb genommen werden. Im Frühjahr 1908 begannen die umfangreichen Arbeiten zur Umspurung und Elektrifizierung der bisher mit tierischer Kraft betriebenen Normalspur-Strecken. Ab dem 1. Oktober 1922 erfolgte die Umstellung von Links- auf Rechtsverkehr.
Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich der Netzausbau unter sowjetischer Führung verhalten fort, während gleichzeitig aber auch erste schwach frequentierte Strecken auf den 1952 eingeführten Trolleybus umgestellt wurden. Nach weiteren Streckenstilllegungen insbesondere im Innenstadtbereich bzw. deren Umstellung auf Trolleybusbetrieb war das Tramnetz 1972 auf sechs Linien zusammengeschrumpft. Erst nach dem Ende langer Diskussionen über den Bau unterirdischer Strecken oder gar einer vollwertigen U-Bahn in den Achtzigerjahren kam es wieder zu Ausbauten, wobei es sich dabei vor allem um Schnellstrassenbahn-Strecken in Neubau-Wohngebiete handelte. Gleichzeitig steuerte der sich ab 1993 Львівелектротранс (ЛКП, dt. Lwiwer Elektrotrans LET) nennende städtische Tram- und Trolleybusbetrieb einer tiefen wirtschaftlichen Krise entgegen, welche sich in den ersten Jahren der Unabhängigkeit der Ukraine noch verschärfte.
Anlagen und Fahrzeuge des über Jahre heruntergewirtschafteten Betriebs liessen sich erst nach der Jahrtausendwende und nur mit Krediten der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) sanieren. Nach einer Erholungsphase gelang es sogar, das Streckennetz wieder auszubauen. Der Fahrzeugpark erfuhr durch den Ersatz eigener CKD Tatra T4SU durch gebrauchte, hochflurige CKD Tatra KT4D aus den ostdeutschen Städten Gera und Erfurt sowie aus Berlin 1) eine leichte Verjüngung. Ab 2013 stiessen ein paar wenige neue Niederflur-Gelenkwagen der Typen Elektron T3L44 (dreiteilig) und T5L64 (fünfteilig) zur Flotte. Herstellerin war die Lemberger Firma Elektrotrans, welche 2011 als Joint Venture der deutschen TransTec Vetschau GmbH sowie der ukrainischen Avtotehnoproekt LLC entstand. 2024 betrieb die Lwiwer Elektrotrans neben zahlreichen Trolleybuslinien sieben Strassenbahnlinien.
Von der Baselland Transport AG übernommenes Rollmaterial
- BLT Be 4/8 215 → ЛКП Nr. ??? (bisher keine Inbetriebnahme)
- BLT Be 4/8 246 → ЛКП Nr. ??? (bisher keine Inbetriebnahme)
- BLT Be 4/8 253 → ЛКП Nr. ??? (bisher keine Inbetriebnahme)
- BLT Be 4/8 259 → ЛКП Nr. ??? (bisher keine Inbetriebnahme)
- BLT Be 4/8 237 → ЛКП Nr. ??? (bisher keine Inbetriebnahme)
- BLT Be 4/8 254 → ЛКП Nr. ??? (bisher keine Inbetriebnahme)
Stand: Januar 2025
Vorgesehener Lieferumfang: Max. 23 Be 4/8 und vier bis zehn Be 4/6 als Ersatzteilspender bzw. Fahrschulwagen
Nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine Ende Februar 2022 flüchteten viele Menschen innerhalb des Landes vom kriegsversehrten Osten in den relativ sicheren Westen, beispielsweise nach Lwiw. Die Einwohnerzahl der Stadt erhöhte sich dadurch um etwa 20 Prozent; die Fahrgastzahlen des öffentlichen Verkehrs folgten dieser Entwicklung. Unter den Vertriebenen befanden sich viele Kriegsverletzte, welche auf Fahrzeuge mit Niederflureinstieg angewiesen waren. Mit den wenigen Elektron T3L44 und T5L64 liess sich diese Nachfrage verständlicherweise nicht befriedigen.
Schon rasch nach dem Fall der Berliner Mauer bzw. dem Zerfall des Ostblocks rief die Schweizerische Eidgenossenschaft ein Unterstützungsprogramm für die Staaten in Osteuropa ins Leben. Seit 1998 unter der Schirmherrschaft des Schweizerischen Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) wurden zum Beispiel in der Ukraine Stadtentwicklung und Raumplanung vorangetrieben, um so die umweltfreundliche Mobilität in den Partnerstädten zu fördern.
Im Rahmen der staatlichen Osteuropahilfe gelang dem SECO 2024, als Soforthilfe zahlreiche ausgemusterte Gelenkwagen aus der Serie 200 der Baselland Transport AG (BLT) nach Lwiw zu vermitteln, dies, nachdem eine beabsichtigte Übernahme von 50 Fahrzeugen durch das serbische Transportunternehmen GSP Beograd kurz vor Vertragsunterzeichnung scheiterte. Das SECO finanzierte dabei die Schulung von Mitarbeitern der Lemberger Verkehrsbetriebe und die ab Januar 2025 erfolgten Transporte der Trams auf dem Strassenweg in die Ukraine. Ausserdem stellte die Bundesbehörde die Versorgung mit Verschleissteilen wie beispielsweise Radreifen und Kohlebürsten für die Kollektormotoren von Fahrantrieb und Hilfbetrieben während der ersten zwei Betriebsjahre sicher.
Die Tramwagen selbst wurden der westukrainischen Stadt von der BLT geschenkweise überlassen und waren dort sehr willkommen. Die ehemaligen BLT-Be 4/8 mit Niederflur-Mittelteil sollten bevorzugt auf einer Linie zum Einsatz kommen, welche zu einem Krankenhaus und einem Rehabilitationszentrum führte, dies zusammen mit elf anderen Niederflurtrams des Typs «Vevey», welche durch Bernmobil zur Verfügung gestellt worden waren und sich bereits in Lwiw befanden. Ebenfalls verschenkte Be 4/6 waren als als Ersatzteilspender oder Fahrschulwagen vorgesehen.
1) Die normalspurigen CKD Tatra KT4D aus Berlin mussten vor dem Einsatz in Lwiw umgespurt werden. Mehr oder weniger aufgearbeitete, von eigenen, zur Verschrottung anstehenden CKD Tatra KT4SU dienten dabei als Spenderdrehgestelle.
Fahrzeugporträts
???
→ ex BLT (Be 4/8 215)
Übernahme: 2025
Erster Kurseinsatz: –
Ausmusterung: –
???
→ ex BLT (Be 4/8 237)
Übernahme: 2025
Erster Kurseinsatz: –
Ausmusterung: –
???
→ ex BLT (Be 4/8 246)
Übernahme: 2025
Erster Kurseinsatz: –
Ausmusterung: –
???
→ ex BLT (Be 4/8 253)
Übernahme: 2025
Erster Kurseinsatz: –
Ausmusterung: –
???
→ ex BLT (Be 4/8 254)
Übernahme: 2025
Erster Kurseinsatz: –
Ausmusterung: –
???
→ ex BLT (Be 4/8 259)
Übernahme: 2025
Erster Kurseinsatz: –
Ausmusterung: –
Zuletzt aktualisiert am 18. Januar 2025 von Dominik Madörin
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