Der Ce 2/2 47 präsentiert sich am 18. Juni 2006 wieder als originalgetreu restauriertes Zweirichtungsfahrzeug im Zustand der Dreissigerjahre. Der klassische, zweiachsige Zweirichtungs-Motorwagen aus der Jahrhundertwende mit Längsbänken und Laternendach ist ausserdem der letzte von einst über 160 Basler Strassenbahnwagen, der Liniennummernschilder-Schutzhauben trägt. Diese dienen als Schutz vor Kohleabrieb der Stromabnehmer-Schleifstücke.
© Dominik Madörin, CH-Ettingen (Bild-Nr. 70.254)
Neben dem Ce 2/2 4 (ex Be 2/2 30 bzw. 58) blieb ein weiterer Motorwagen der grossen Serie Ce 2/2 51–83 (später 23–55) von 1900–01 in Basel erhalten. Als Nummer 75 erlebte dieser am 8. September 1900 seine Jungfernfahrt, war also der 75. von den Basler Strassenbahnen (B.St.B.) in Betrieb genommene Wagen. Im Herbst 1910 durchlief er den ersten grossen Umbau, 1918 bekam er die neue Bezeichnung Ce 2/2 47. Die zweite grosse Modernisierung musste er 1936 über sich ergehen lassen. Am 19. März 1952 aus dem Personenverkehr zurückgezogen half er fortan im Depot Allschwilerstrasse als Dienst-Motorwagen mit der neuen Bezeichnung Xe 2/2 2014 tatkräftig beim Bilden der Tramzüge mit. 1968 schien auch ihm die letzte Stunde zu schlagen. Doch anstatt auf einem Schrotthaufen zu landen, war ihm ein anderes Schicksal beschieden.
Als Xe 2/2 2014 übernahm der Wagen 47 ab 1952 Rangieraufgaben im Depot Allschwilerstrasse. Um die Manöver zu vereinfachen, wurden vorübergehend +GF+-Kupplungen montiert.
© Sammlung Dominik Madörin, CH-Ettingen (Bild-Nr. -)
Zu jener Zeit waren einige Strassenbahnfreunde der Ansicht, dass eine Anzahl markanter, kultur- und technikgeschichtlich interessanter Fahrzeuge aus den Anfangsjahren des Basler Strassenbahnbetriebs der Nachwelt erhalten bleiben müsse. Zu diesem Zweck planten sie die Schaffung eines Basler Tram-Museums. Die vorerst noch privaten Vorstösse stiessen bei der Direktion der nunmehrigen Basler Verkehrs-Betriebe (BVB) zwar auf Verständnis, doch war man dem musealen Erhalt alten Rollmaterials gegenüber wenig positiv eingestellt. Zudem sahen sich die Verkehrsbetriebe nicht imstande, die für ein Museum geeigneten Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Für die Verwirklichung ihrer Ideen benötigten die Initianten daher die Unterstützung weiter Kreise – die Gründung eines Vereins wurde zügig in die Hand genommen. Noch vor der Gründungsversammlung wurde mit den BVB über die Übernahme von Rollmaterial verhandelt. Ausser dem alten Personen-Motorwagen Be 2/2 126 überliessen die Verkehrsbetriebe dem zukünftigen Verein auch den Dienst-Motorwagen Xe 2/2 2014, ehemals Ce 2/2 47. Im Depot Arlesheim der damals noch selbstständigen Birseckbahn AG (BEB, heute Baselland Transport AG) konnte man zwei Standplätze mieten. Am 23. November 1968 – nur zwei Tage nach der Gründungsversammlung des Tramclubs Basel (TCB) – fuhren die beiden festlich geschmückten Museumswagen aus eigener Kraft vom BVB-Depot Dreispitz in ihr neues Zuhause in Arlesheim.
Am 23. November 1968 – nur zwei Tage nach der Gründungsversammlung des Tramclubs Basel (TCB) – fuhren die beiden festlich geschmückten Museumswagen Be 2/2 126 und Xe 2/2 2014 aus eigener Kraft in ihr neues Zuhause in Arlesheim.
© Werner Liechti, Rheinfelden (Sammlung Dominik Madörin, CH-Ettingen)
1975 stand die Ablieferung neuer Gelenkwagen für die Linie 10 unmittelbar bevor. Daher mussten Mitte Jahr die beiden Standplätze im Depot Arlesheim aufgegeben werden, ohne dass der junge Verein seinem eigentlichen Ziel, der Errichtung eines Basler Tram-Museums, auch nur einen Schritt näher gekommen wäre. Trotz intensiver Suche konnte für die designierten Museumswagen keine überdachte Bleibe gefunden werden. Am 25. Juni 1975 wurde der Xe 2/2 2014 in die Abstellanlage Eglisee überführt und musste zusammen mit anderen Strassenbahn-Oldtimern, welche zwischenzeitlich zur Sammlung des TCB stiessen, im Freien abgestellt werden. Die im Eglisee stehenden Fahrzeuge litten nicht nur stark unter der Witterung, sondern wurden auch mehrmals Opfer von Diebesbanden und hinterhältigen Vandalen. Beim Xe 2/2 2014 wurden Scheiben zertrümmert, elektrische Einrichtungen zerstört sowie Fenster, Decke und Wände mit bunter Farbe verschmiert. Der historischen Bedeutung dieses Wagens wohl bewusst gestatteten die BVB dem Tramclub schliesslich, ihn im Depot Wiesenplatz sicher unterzustellen. Dort genoss seit Mai 1978 auch der restaurierte, jedoch nicht betriebsfähige Wagen 126 Asyl. Die Dislozierung erfolgte am 30. April 1980.
Im Februar 1983 konnte der Bau einer provisorischen Wagenhalle in der Abstellanlage Eglisee abgeschlossen werden. Bereits nach wenigen Jahren lief die befristete Baubewilligung für das Notdach allerdings wieder ab. Eine Verlängerung war aus baurechtlichen Gründen nicht möglich; spätestens Ende März 1991 musste die Halle wieder demontiert sein. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte lediglich für fünf Museumsfahrzeuge eine definitive Lösung gefunden werden. Anderen Wagen drohten weitere Jahre ungeschützter Aufenthalt im Freien. Beauftragt von der Regierung des Kantons Basel-Stadt suchten die BVB und die Baselland Transport AG (BLT) gemeinsam nach einem Platz für die TCB-Oldtimer. Fündig wurde man in der BLT-Remise Rodersdorf. Acht Wagen, darunter auch der Xe 2/2 2014, wurden im Mai 1989 dorthin überführt.
Acht historische Strassenbahnwagen, darunter auch der Xe 2/2 2014, wurden im Mai 1989 nach Rodersdorf überführt. Hinter der BLT-Doppeltraktion eingereiht sind der Be 2/2 203, der Xe 2/2 2014 und der X 2206. Aufnahme am 30. Mai 1989 zwischen Therwil und Ettingen.
© Dominik Madörin, CH-Ettingen (Bild-Nr. 50.38)
Überraschend kündigte die BLT den Mietvertrag für die Remise Rodersdorf vorzeitig auf den 31. Oktober 1993. Ein Tram-Museum als Endlösung lag nach wie vor in weiter Ferne. Dies veranlasste den Tramclub dazu, die Idee einer statischen Tram-Ausstellung genau zu überdenken. Grundgedanke des daraufhin ausgearbeiteten «Konzept Schienenfahrzeuge» war es, möglichst viele historisch wertvolle Wagen betriebsfähig zu erhalten und der Öffentlichkeit anlässlich von regelmässig stattfindenden Betriebstagen mit historischem Rollmaterial zugänglich zu machen. Nach intensiven Verhandlungen mit den Verkehrsbetrieben konnte erreicht werden, dass drei von den BVB als besonders erhaltenswert eingestufte Fahrzeuge – darunter der Xe 2/2 2014 – im November 1993 in den Depots Wiesenplatz und Allschwilerstrasse sicheren Unterschlupf fanden. Dies zog aus rechtlichen Gründen 1994 eine Rückübertragung in das Eigentum der Verkehrsbetriebe nach sich. Für sieben nicht betriebsfähige Oldtimer aus der Fahrzeugsammlung des TCB fand sich keine Lösung. Sechs davon gingen in das Eigentum befreundeter Vereine oder Museen über und verliessen Basel und die Schweiz; ein Fahrzeug musste abgebrochen werden.
Das Ziel: Wiederinbetriebnahme
Stets stand fest, dass der Xe 2/2 2014 unter der Regie des Tramclubs Basel revidiert und eine Renaissance als betriebsfähiger Museumswagen Ce 2/2 47 erleben sollte. Eine entsprechende Vereinbarung mit den BVB wurde im April 1991 unterzeichnet. Über Jahre hinweg waren die Vereinsmitglieder aber mit der Suche nach geeigneten Lokalitäten für die Unterbringung ihrer historischen Tramfahrzeuge über Gebühr belastet. Zusätzliches Engagement banden Aufbau und Demontage der Halle im Eglisee. An umfangreiche Revisionsarbeiten an Tramwagen war nicht zu denken!
Bereits während des Jubiläums «100 Joor BVB» anno 1995 wurde fleissig Geld für die Restaurierung des «Anggebliemli» gesammelt.
© Dominik Madörin, CH-Ettingen (Bild-Nr. 70.6)
Nach der schmerzhaften Bereinigung der Fahrzeugsammlung infolge der Kündigung der Remise Rodersdorf konnte man sich wieder dem Xe 2/2 2014 zuwenden. Noch dachte man daran, den Wagen mit möglichst viel Eigenleistung aufzuarbeiten. Lediglich technisch anspruchsvolle Arbeiten sollten durch ausgebildete Fachleute ausgeführt werden. Wie sich aber bald herausstellte, liessen fehlende Räumlichkeiten es nicht zu, dass Mitglieder am Xe 2/2 2014 über Jahre hinweg selber Hand anlegten. Die Aufarbeitung musste also unter Aufwendung erheblicher finanzieller Mittel fremdvergeben werden. Um den Finanzbedarf zu ermitteln wurden 1996 bei verschiedenen Unternehmen Offerten eingeholt. Es zeigte sich, dass mit Kosten zwischen 450’000 und 550’000 Franken gerechnet werden musste.
Zu diesem Zeitpunkt stand für die Restaurierung von Fahrzeugen lediglich eine Rückstellung in Höhe von 8’000 Franken zur Verfügung. Es galt daher, sich vorerst auf die Mittelbeschaffung zu konzentrieren. Erster Schritt war die Äufnung des «Revisionsfonds Wagen 47». Ende 1997 wies dieser bereits einen Saldo von 130’000 Franken aus – viel Geld, aber trotzdem zu wenig, um das historische Fahrzeug restaurieren lassen zu können! Bei den Lotteriefonds der Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft eingereichte Gesuche fanden erfreulich positive Aufnahme: Im März 2000 bewilligte der Basler Regierungsrat einen Beitrag von 50’000 Franken; wenig später zog der Landrat mit 40’000 Franken nach. Der vom Lotteriefonds des Landkantons zugesicherte Beitrag verfiel jedoch Ende 2005. Noch fehlten aber mindestens 150’000 Franken, um mit den Arbeiten beginnen zu können. Um an die fehlenden Mittel zu kommen wurden potentielle Sponsoren, Firmen, Institutionen sowie die Basler Bevölkerung mit einer gezielten Medien- und Öffentlichkeitskampagne auf das Projekt aufmerksam gemacht.
Nach dem Vorbild der «Dante Schuggi» musste ein vermarktungsfähiger Name für den designierten Museumswagen gefunden werden. Zu diesem Zwecke lancierte eine Basler Gratiszeitung einen Leserwettbewerb. Über 300 Ideen für einen Namen gingen bei der Redaktion ein. Eine Jury, bestehend aus Mitgliedern des Patronatkomitees und des TCB sowie aus Mitarbeitern der den Tramclub beratenden Kommunikationsagentur und der Zeitungsredaktion, wählte schlussendlich den von drei verschiedenen Einsendern eingereichten Namen «Anggebliemli» (Butterblume). Er lehnt sich an den gleichnamigen Basler Schnitzelbänggler 1) mit seinem Jahrhundert-Reim «Drämmli, Drämmli, uff di wart i nämmli» an. Für die weitere Mittelbeschaffung wurden Flyer und Postkarten gedruckt, welche an den Betriebstagen gezielt verkauft wurden. Ebenso wurde ein Teileverkauf lanciert. Die symbolische Veräusserung von Sitzplätzen, Fahrschaltern, Kupplungen, Wagenkilometern usw. des historischen Fahrzeuges an Privatpersonen erwies sich als gute Idee. Im Herbst 2005 erlaubte der Saldo des Revisionsfonds endlich, die Aufarbeitung des Ce 2/2 47 in Auftrag zu geben. Ein Etappenziel war erreicht!
Am 11. Mai 2005, nur wenige Wochen vor Beginn der Revisionsarbeiten, präsentiert sich der noch als Xe 2/2 2014 bezeichnete Wagen vor dem Depot Dreispitz. Deutlich ist ihm die lange Remisierungszeit anzusehen!
© Dominik Madörin, CH-Ettingen (Bild-Nr. 70.36)
Vorarbeiten
Eine im Jahre 2004 gebildete, vereinsinterne Arbeitsgruppe definierte die Ziele der Restaurierung. Letztmals wurde der Wagen 1936 umgebaut. In den folgenden Jahren bis zur Ausmusterung 1968, speziell in der Zeit als Dienstfahrzeug, erfolgten keine wesentlichen Veränderungen mehr. Ein Rückbau des «Anggebliemli» in den Zustand von 1910 oder gar in den Originalzustand von 1900 erschien wenig sinnvoll und wäre aus finanziellen sowie technischen Überlegungen auch kaum machbar gewesen. Oberstes Ziel war deshalb, möglichst viel der originalen Substanz zu erhalten und Fehler, welche zu jener Zeit von benachbarten Verkehrsbetrieben bei der Aufarbeitung historischer Strassenbahnwagen begangen wurden, von Anfang an auszuschliessen und keinesfalls zu wiederholen. Das «Anggebliemli» sollte im Zustand von 1936 bis 1952 als vollwertiger Zweirichtungswagen auferstehen!
Schwesterfahrzeug Ce 2/2 38 um 1938. Der Wagen trägt den 1924 eingeführten Anstrich mit Zierlinien und dunkel abgesetzten Abdeckstäben («Calini-Grün»). Diese Anstrich-Variante stand für den Ce 2/2 47 im Vordergrund.
© B.St.B. (Sammlung Dominik Madörin, CH-Ettingen)
Für den Aussenanstrich kamen verschiedene Möglichkeiten in Frage. Priorität hatte das klassische Erscheinungsbild der Dreissigerjahre mit gelben Filets, dunklen Abdeckstäben und rundem Baselstab. Als Varianten diskutiert wurden die sogenannte «Kriegsbemalung» mit hellen Fenstereinfassungen oder das Erscheinungsbild der frühen Fünfzigerjahre mit Basiliskenwappen. Letzteres trug der Ce 2/2 47 allerdings nachweislich nie. Bereits 1994 wurde eine Untersuchung des Farbaufbaus der Aussenverblechung durch einen ausgebildeten Restaurator vorgenommen, welche exakte Aufschlüsse über die verwendeten Grüntöne gab. Vom Erstanstrich fanden sich leider keine Spuren. Hingegen zeigte sich, dass das Grün des letzten Anstrichs von 1952 beinahe jenem von ca. 1925 entsprach. Beim Umbau von 1936 erhielt der Wagen dagegen eine neue Farbschicht mit einem blaustichigen, etwas dunkleren Grün. Breite und Farbton der gelben Filets von ca. 1925 sowie der dunkle Farbton der Abdeckstäbe von 1936 waren ebenfalls gut bestimmbar. Diese Erkenntnisse erlaubten es, den Farbton von 1936 genauestens abzumischen, so dass sich der Wagen nach der Restaurierung von der Farbgebung her absolut authentisch präsentieren würde. Eine weitere Diskussion über die Wahl des Anstrichs und des Erscheinungsbildes erübrigte sich so.
Am 26. Januar 2005 wurde die in dieser Form geplante Wiederinbetriebnahme des historischen Motorwagens vom Bundesamt für Verkehr genehmigt, die wichtigste Hürde war damit geschafft. Obige Vorgaben bildeten auch die Basis für die nochmalige Einholung mehrerer Offerten für die Restaurierung. Das Angebot der Hauptwerkstätte der Rhätischen Bahn (RhB) in Landquart entsprach schlussendlich am besten den Vorstellungen des Tramclubs. Es beinhaltete insbesondere umfassende Garantieleistungen und die Aufarbeitung von Motoren und Fahrschaltern im eigenen Hause. Weitere Gründe, welche für die RhB sprachen, waren die ausgewiesene Erfahrung in Restaurationen von historischen Schienenfahrzeugen und die gute Erreichbarkeit von Basel aus.
Betrieb und Unterhalt des «Anggebliemli» sollten vertragsgemäss von den Basler Verkehrs-Betrieben wahrgenommen werden. Eine BVB-interne Arbeitsgruppe definierte alle notwendigen Anpassungen an die heutigen Betriebsbedingungen. So mussten die Nebenstromkreise mit Ausnahme der Heizung von 600 auf 24 Volt abgeändert und eine zeitgemässe Weichen- und Signalsteuerung eingebaut werden. Um auch bei Stromausfall eine Notbremsung einleiten zu können, war die Magnetschienenbremse auf 24-Volt-Batteriebetrieb umzubauen. Ferner waren Fahrgast-Notbremstaster und eine elektrische Rasselglocke nachzurüsten. Anstatt einer Ansteuerung der nicht mehr zeitgemässen Bremssolenoide der Anhängewagen sollten die Federspeicherbremsen bisher damit ausgerüsteter Fahrzeuge (zur jener Zeit C 309 und C 331) betätigt werden können. Ferner waren aus Gründen der Sicherheit die Fenster mit Sicherheitsglasscheiben und die Scheibenwischer mit elektrischen Antrieben zu versehen. Um den Wagen besser vermieten zu können, wünschte die BVB den Einbau von Bistrotischen. Dieser Interessenkonflikt konnte elegant gelöst werden, indem man sich auf eine Variante mit zwei demontierbaren, ovalen Eschenholztischchen einigte. Auch die übrigen Änderungen hatten so zu erfolgen, dass die historische Substanz keinen Schaden nehmen würde und moderne Elemente dem Auge so weit als möglich verborgen blieben.
Transport nach Landquart am 6. Oktober 2005 (auf der Autobahn bei Baden (AG)).
© Dominik Madörin, CH-Ettingen (Bild-Nr. 70.66)
Am 28. September 2005 konnte die RhB mit der Durchführung der Restaurierung beauftragt werden! SBB Cargo AG sah sich leider nicht in der Lage, ein Angebot für einen Transport nach Landquart auf dem Schienenweg zu unterbreiten. So verliess der betagte Motorwagen seine Heimatstadt am 6. Oktober 2005 als Strassentransport auf einem Tiefladeauflieger. Auflad und Demontage einiger Dachaufbauten erfolgten vorgängig in der BVB-Hauptwerkstätte Klybeck. Im Umschlagterminal Landquart wurde der etwas über zwölf Tonnen schwere Oldtimer mittels Containerkran vom Lastwagen gehoben und auf das RhB-Gleis gestellt. Wegen zu schmaler Bandagen konnte die Überführung in die etwas entferntere RhB-Hauptwerkstätte allerdings nicht unmittelbar auf eigenen Rädern, sondern erst am Folgetag auf Diplorys stattfinden.
Die Revision
Mitte Oktober 2005 begannen die Fachleute der RhB, den Wagen vollständig zu zerlegen. Diese Phase verlangte einiges an Sorgfalt, sollte doch jedes demontierte Einzelteil unbeschädigt bleiben, nicht verloren gehen und am Schluss wieder am selben Ort montiert werden. Um dieses Ziel zu erreichen wurden zahlreiche Detailfotos und Skizzen angefertigt sowie jedes Teil bezeichnet und inventarisiert. Eine weitere Herausforderung stellte das Lösen festgerosteter Schrauben und die schadlose Bergung der Inneneinrichtung dar. Schliesslich wurde der Wagenkasten, von welchem nach den Demontagearbeiten nur noch der Bodenrahmen mitsamt Wagenboden, das Kastengerüst aus Eichenholz und das Dach übrig blieben, vom Untergestell abgehoben und auf Hilfsachsen gestellt.
Nach dem Aufsetzen auf das RhB-Meterspurgleis im Umschlagterminal Landquart wurde das «Anggebliemli» mit der Gm 3/3 233 verschoben.
© Dominik Madörin, CH-Ettingen (Bild-Nr. 70.123)
Am Untergestell wurden sämtliche Anbauteile abgenommen und der separaten Aufarbeitung zugeführt. Bis zum Jahresende war die Zerlegung abgeschlossen. Es zeigte sich, dass sich das über einhundertjährige Fahrzeug in tadellosem Zustand befand. Insbesondere waren die Motoren intakt und der Wagenkasten in seiner Grundstruktur unbeschädigt. Einige Gussteile des teils genieteten, teils geschraubten Untergestellrahmens wiesen Haarrisse auf, welche geschweisst werden mussten. Anschliessend wurde der Rahmen sandgestrahlt, grundiert und mit einem neuen Anstrich versehen. Die Räder wurden von den Achswellen abgezogen und neu bandagiert. Eine Untersuchung der Achswellen mit Ultraschall förderte Risse zutage, so dass eine Achse neu angefertigt werden musste.
Beim Fahrwerk musste nur eine Achse neu angefertigt werden. Alle anderen Teile befanden sich in einem perfekten Zustand.
© Sammlung Dominik Madörin, CH-Ettingen
Die beiden Fahrmotoren wurden gereinigt, aufgefrischt und geprüft. Nur einige Litzen mussten ersetzt werden. Etwas grösseren Aufwand erforderte das Umwickeln der Schienenbremsmagnete von 600 auf 24 Volt. Anfangs März 2006 präsentierte sich das wieder zusammengebaute Fahrwerk mit den revidierten Motoren, Radsätzen und den abgeänderten Schienenbremsmagneten in beinahe fabrikneuem Zustand. An dieser Stelle sei erwähnt, dass sowohl die neue Achse wie auch alle anderen neu angefertigten Teile bezüglich Material, Grösse und Aussehen exakt dem Original entsprechen.
Besonders aufwändig gestaltete sich die Aufarbeitung der beiden Schleifringkontakt-Fahrschalter. Haupt- und Richtungswalzen waren ausserdem mit zusätzlichen Hilfskontakten für die Steuerung der Anhänger-Federspeicherbremse und der Schienenbremse sowie für die Verriegelung der Weichensteuerung und Notbremsfusstaster des unbesetzten Führerstandes nachzurüsten. Durch die Beibehaltung der Fahrschalter und den Verzicht auf eine Schützensteuerung konnte der Oldtimer ein hohes Mass an Authentizität bewahren und wurde nicht zu einem einigermassen historisch aussehender, im Grunde genommen aber moderner Motorwagen («Mickymaus»).
Basis des Wagenkastens bildet der stabile Bodenrahmen aus Stahlprofilen, an welchem unter anderem die Mechanik der Handbremse sowie die Kupplungen, Glocken und Kabelkanäle angebracht sind. Diese Teile wurden demontiert und separat aufgearbeitet. Anschliessend wurde der Wagenkasten gestrahlt (Stahlträger mit Sand, Holz mit Nussschalen). So von jahrzehntealtem Schmutz befreit wirkte das Gerippe beinahe wie neu erstellt. Nur wenige angefaulte Holzteile mussten ersetzt werden. Die gesamte Inneneinrichtung konnte erhalten und aufgearbeitet werden. Lediglich das Dach aus Tannenholz war nicht mehr zu retten. Die Längsbretter mussten neu angefertigt werden. Ab Januar 2006 wurde der Wagenkasten kontinuierlich komplettiert. Statt einer modernen Kunststoffbeschichtung erhielt das Dach eine originalgetreue Segeltuchbespannung, wozu eigens ein mit diesem alten Handwerk noch vertrauter Fachmann aus Basel beigezogen wurde.
Der Wagenkasten wurde vom Untergestell getrennt und bis auf das Gerippe demontiert. Das 105 Jahre alte Gebälk präsentiert sich nach dem Strahlen in einem hervorragendem Zustand.
© Sammlung Dominik Madörin, CH-Ettingen
Besonders viel Zeit erforderte die Neuverkabelung: 1’000 Meter Starkstrom- und 1’500 Meter Schwachstromkabel laufen – vor dem Auge des Fahrgastes verborgen – kreuz und quer durch das Fahrzeug. Dem Einziehen der nach ausgeklügeltem System bezeichneten Kabel vorausgegangen war das Entwerfen neuer Schaltpläne. Nach Möglichkeit wurden alte Elektroapparate wie beispielsweise Schalter aufgearbeitet und wieder eingebaut. Fehlende Innenleuchten konnten in Polen nachbeschafft werden. Anfangs März 2006 gestattete der Baufortschritt, den Wagenkasten auf das Untergestell aufzusezten.
Ende Monat war der Ce 2/2 47 soweit fertiggestellt, dass auf einem kurzen, mit einer unter anderem mit 600 Volt Gleichspannung einspeisbaren Fahrleitung versehenen Prüfgleis auf dem Gelände der RhB-Hauptwerkstätte zaghafte Gehversuche unternommen werden konnten. Die ersten Meter aus eigener Kraft legte das «Anggebliemli» am 27. März 2006 um 15:44 Uhr zurück! Die Tage bis zur Rückreise nach Basel am 6. April 2006 nutzten die RhB-Handwerker für den letzten Schliff.
Das Bijou ist zurück!
Unter der Regie der BVB wurden auf heimischen Gleisen verschiedene Mess- und Einstellungsfahrten vorgenommen. Diese verliefen allesamt befriedigend, so dass der amtlichen Kollaudation am 21. April 2006 gelassen entgegengeblickt werden konnte. Unmittelbar im Anschluss daran begann die Instruktion des Fahrpersonals. Besonders die Bedienung der alten Schleifringkontakt-Fahrschalter erforderte zur Vermeidung von Schäden nicht nur einiges Fingersptzengefühl, sondern auch eine vertiefte Schulung.
Zurück in Basel: Erste Gehversuche am 11. April 2006 unweit der BVB-Hauptwerkstätte Klybeck.
© Dominik Madörin, CH-Ettingen (Bild-Nr. 70.176)
Der Presse vorgestellt wurde der Wagen am 4. Mai 2006. Der grosse Moment folgte jedoch erst am 6. Mai 2006. Auf den Tag genau 111 Jahre, nachdem in Basel die ersten Strassenbahnwagen zirkulierten, konnte das «Anggebliemli» offiziell wieder in Betrieb genommen und symbolisch der Bevölkerung zur Nutzung überreicht werden. Ein grosser Tag für den Tramclub, die BVB und die Stadt Basel.
Der Ce 2/2 47 fährt wieder; die Odyssee hatte ein Ende gefunden! Viele Tramclub-Mitglieder engagierten sich zwanzig, dreissig oder gar vierzig Jahre lang mit allen Kräften für die Erreichung dieses Ziels; einzelne drängten sich erst in der Schlussphase auf.
Ein halbes Jahr lang weilte der Ce 2/2 47 in der Hauptwerkstätte der Rhätischen Bahn. Nur wenige Betriebe sind heute noch in der Lage, derartige Restaurierungen durchzuführen. Rückblickend betrachtet erwies sich Wahl, den wertvollen Wagen in Landquart restaurieren zu lassen, als richtig. Die Kooperation zwischen Tramclub, BVB und RhB verlief optimal. Kostenrahmen und Zeitplan konnten nicht zuletzt dank exakter Vorarbeiten durch den Tramclub und die Basler Verkehrs-Betriebe eingehalten werden.
1) Bänkelsänger an der Basler Fasnacht
Zuletzt aktualisiert am 8. Januar 2025 von Dominik Madörin
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